9. Etappe: Sambuco – Rifugio Don Barbera

Wir haben es heute nicht eilig. Die Betten waren viel zu bequem, die Beine viel zu müde und das Frühstück viel zu gut um sich übertrieben früh auf den Weg zu machen. Außerdem wartete auf Stefan ein sich kaum drehendes Vorderrad … nicht zwingend der Garant für Spaß auf einer anstrengenden Tagesetappe. Die Länge der Tagesetappe haben wir bei all diesen Überlegungen getrost unterschlagen.

Mit dem angeschlagenen Bike sind die ersten 20km im Tal bis Demonte eine echte Qual. Bergab kann man es nicht recht laufen lassen, das Lager wird heiß und fühlt sich nach ziemlich starker Reibung an. Letztere erhöht den Trainingseffekt im flachen und Bergauf merklich, vor allem auch mental. Stefans Motivation sinkt langsam wieder auf das Niveau der Anfangstage. Oft müssen wir stehen bleiben, weil das Lager nachgezogen werden muss … es ist ein mühsames vorankommen, doch wir entwickeln langsam ein Gefühl für den Patienten. Wir haben gerade ein Drittel der Tageshöhenmeter hinter uns gebracht und schon müssen wir die Mittagspause vorziehen, weil wir für die nächsten paar Stunden die Zivilisation verlassen werden. In einer kleinen Trattoria in Trinita schaut man uns zunächst verwundert an, ob unseres geplanten Routenverlaufes und kocht uns dann eine riesige Portion Spaghetti … ich denke die Köchin will uns damit etwas sagen. Auf den verbleibenden 1300hm hinauf zum Lacs du Sabion wird uns so Einiges abverlangt. Der Forstweg wird steiler und schmäler und packt die ersten groben Steine aus. Wir versuchen so gut es geht noch zu fahren, aber irgendwann sehen wir es ein, dass es fast 1000hm zu schieben werden – der eine früher, der andere später. Der Weg sieht aus wie aus römischer Zeit, mit unglaublichem Aufwand gepflasterte Abschnitte, teilweise seitlich begrenzt mit einem Spalier aus Steinen. Leider waren die Römer schon damals keine Fans von Transalps und so bleibt der Weg mal zu steil und mal zu grob zum fahren. Lange zieht sich das Tal hin, bis man sich langsam an einer Flanke hinauf zum Pass windet. Kurz vor der Überquerung entdecken wir einen kleinen See – Lago della Vacca (das erklärt so Einiges).

Auf dem Weg zum Lago della Vacca mit Blick zurück ins Tal

Auf dem Weg zum Lago della Vacca mit Blick zurück ins Tal

Kurz vor der ligurischen Genzkammstraße

Kurz vor der ligurischen Genzkammstraße

Die ligurische Grenzkammstraße ist dann recht flott erreicht und wir glauben das Schlimmste geschafft zu haben. Deshalb entschließt ich mich die letzte Fleißaufgabe des Projekts 30000 einzustreuen – eine Gustostückerl an Auffahrt aus 49 Serpentinen verteilt auf 600hm, am Abend davor perfekt mit Apemap und Google Earth in die Route integriert … das Ergebnis: Nach der halben zugehörigen Abfahrt stehe ich in einer Mischung aus Geröllfeld und Urwald, ohne Chance auf weiterkommen. Ich muss zurück auf die Grenzkammstraße und den normalen Weg einschlagen. Am Treffpunkt kann sich Stefan ein Lächeln nicht verkneifen, zurecht. Wir treten gemeinsam in die Pedale, es wird langsam dunkler und Wolken spielen mit den schroffen Gipfel hier heroben. Ich habe großes Glück noch den Nagel eines alten Wanderschuhs zu finden – mit dem Reifen. Kein Problem, wir haben ja Zeit. Oh wie diese Hinterlistigen Gegenanstiege und Schlangenlinien jetzt schmerzen. Es ist schon einige Zeit her, dass wir andere Menschen gesehen haben. Die Wolken spielen mittlerweile auch noch mit den letzten Sonnenstrahlen und bilden eine atemberaubende Szenerie. Egal wie viel zu spät es schon ist, hier kann man nicht einfach weiterfahren. Wir bleiben stehen, packen was zu trinken und einen Riegel aus und genießen – yolo und so.

Typisches Bild am ligurischen Grenzkamm: grober Weg…

Typisches Bild am ligurischen Grenzkamm: grober Weg…

…und viele Bonushöhenmeter

…und viele Bonushöhenmeter

Spätestens in solchen Momenten wissen wir beide, weshalb wir diese Strapazen auf uns nehmen

Spätestens in solchen Momenten wissen wir beide, weshalb wir diese Strapazen auf uns nehmen

Unser GPS beschließt für heute genug gearbeitet zu haben und so wird es langsam einsam hier. Jede kleine Kuppe oder Überquerung könnte die letzte sein – ist es aber nicht. Wir kosten jede Windung des Grenzkammes aus, mittlerweile mit unseren funzligen Stirnlampen. Als wir um halb 9 in stockfinsterer Nacht das Refugio Don Barbera erreichen sind wir heilfroh. Die Dusche ist eiskalt, aber es ist die letzte Nacht. Es ist nicht wirklich gemütlich und wir zehren eher vom Gedanken an die Zielankunft morgen. Wir updaten nochmal die morgige Route, um auf möglichst einfachen Wegen nach San Remo zu kommen – Stefans Vorderrad wird nicht mehr lange halten. Erste Hochrechnungen machen klar, dass es eine ganz knappe Geschichte wird mit den 30000hm. Es bleibt spannend.

Pässe

  • Madonna del Colletto
    Auf-/Abfahrt: Kurzer Hüpfer ins nächste Tal, schön schattig
  • Lago della Vacca/Sabione
    Auffahrt: extrem steile Forststraße, die sich recht früh als nicht mehr fahrbar
    erweist  Tragepassage mit 800hm
    Abfahrt: Der wunderbare Singletrail muss natürlich zu 100% geschoben werden, weil man im Nationalpark ist
  • Ligurischer Grenzkamm I
    Forstweg mit Bonushöhenmetern und grobem Untergrund, aber teils beindruckende Ausblicke. Schlängelt sich sehr zeitraubend entlang der Flanken