Nepal – Annapurna Circuit

16 Tage Abenteuer in luftiger Höhe

FoxX, Feb. 2013

Am Thorong La: Die Freude bricht sich Bahn

Ich mag keine Leute, die sowas sagen, aber es trifft es leider auf den Punkt: Diese Reise war perfekt. Egal aus welcher Richtung man sie betrachtet, jedes winzige Detail hat gepasst. Ekelhaft, oder, wenn einer so rumschwärmt und scheinbar jede Kritik ausblendet – man möge es mir nachsehen.

Aber mal von vorne: Es war einmal, vor einigen Monaten, wohl im April 2012. Meine Pläne standen fest, ich war mir sicher: Ich will nach Nepal, ich will dort biken, genau das passt jetzt in mein Leben. Vielleicht hätte ich es auch alleine durchgezogen, aber schöner wär es schon zumindest zu zweit zu sein. Knapp einen Monat vor Abflug war ich ziemlich am Zögern und genau in dieser Situation hat sich Dom(inik) gemeldet. Wir haben uns getroffen und es war recht schnell klar: Das passt. Also traten wir am 30.Oktober die Reise nach Nepal gemeinsam an, die Bikes gut verpackt und wir hoffentlich ausgestattet mit Allem was in den nächsten Wochen nötig sein sollte – auf eigene Erfahrungen konnten wir ja nicht so wirklich zurückgreifen.

Herrliche Abfahrten durch verwinkelte Dörfer …

… und staubige Pisten

Erster Trail zwischen Kathmandu und Besi Sahar

Anpassung an lokale Gebräuche

Die erste mentale Herausforderung erwartete uns nach der Ankunft am Flughafen Tribhuvan International. Das Chaos, die Unordnung, das permanente Gehupe und die scheinbare Regellosigkeit auf den Straßen Kathmandus kann man sich kaum vorstellen. Es gibt keine Sicherheitsabstände, Überholverbote oder Angst vorm Gegenverkehr, aber es funktioniert. In etwa so kann man die ganze Stadt beschreiben – ein undurchblickbares Gewusel, permanenter Stress, alles dreht sich, alles bewegt sich. Für so manchen muss das furchtbar sein, für mich war es herrlich. Mit dem Bike durch die Straßen zischen, im Verkehr untertauchen oder auf den Trails die Stadt umrunden, egal wo man ist – ein Bike passt super in diese Stadt. Schon allein, weil man damit nicht die schlechte Luft noch weiter verpestet, sondern etwas vom Smog wegschnauft.

Umrundung des Swayambunath

Aber kommen wir mal zum eigentlichen Grund unserer Reise: 16 Tage auf dem Bike durch zunächst grüne Hügel und dann um das Annapurna-Massiv herum. Und genau diese 16 Tage haben so einen intensiven, faszinierenden und facettenreichen Eindruck hinterlassen, den ich niemals mehr missen möchte. Man sagt Nepal verändert einen. Ich glaube nicht, dass es einen unbedingt verändern muss, ich würde sagen, Nepal ist ein Brennglas für die Seele. Wenn man sich darauf einlässt, wird man in diesem Land viel näher zu sich selbst finden, und wenn man Glück hat, danach genauer wissen wer man ist und wohin der eigene Weg führen soll.

Das augenscheinlichste Merkmal in Nepal sind die gewaltigen Berge. Auf den ersten Etappen unserer Tour erschienen sie ganz hinten am Horizont, noch Tage entfernt, aber trotzdem zogen sie die Blicke ständig auf sich. Je näher man ihnen gekommen ist, desto klarer wurde, dass diese Giganten größer sind, als Alles was wir bisher gesehen haben. Sie wuchsen mit jedem Tag und haben diese distanzierte Vertrautheit inne. Die stoische Eleganz mit der sie jeden Morgen aufs Neue um die Wette leuchten, die Reinheit ihrer schneebedeckten Gipfel, all das strahlt Ruhe und Gelassenheit aus.

Man sieht sie und weiß doch, dass sie unerreichbar sind, allein der Anblick und die Tatsache, dass sie unverrückbar jeder Widrigkeit trotzen, reichen um seine eigene Mitte zu finden. In dieser Landschaft entspannt man unweigerlich. Selbst ein Energiebündel und Unruheherd, wie ich es bin, kommt runter und entdeckt eine Gelassenheit an sich, die bisher unbekannt war. Die Bescheidenheit der Nepali tut ihr übriges. Die Geräuschlosigkeit ist wunderbar, wie reibungslos alles funktioniert, wenn man nicht von lauter Selbstdarstellern und Narzissten umgeben ist.

Teepause mit Blick auf den Manaslu (8163m)

Speed und Entspannung,

Feiner Trail in rotem Sand

Nepal kann beides

Umso trauriger ist es aber dann zu sehen, welche Auswirkungen der Tourismus auf das beschauliche und familiäre Leben am Land hat. Am schlimmsten empfand ich das Werbeplakat von Tuborg: „The Fun starts here“. Ich glaube man kann sich vorstellen, was diese Werbelüge in der diesbezüglich unerfahrenen Landbevölkerung anrichten kann. Die Menschen hier sind so freundlich, offen und angenehm – ich hoffe sie bewahren sich all diese Tugenden, egal wie viel westlicher Einfluss auf sie einprasselt.

Mit jedem Tag tauchen wir tiefer in diese intensive Abendteuer ein und freuen uns über die kleinen Dinge. Es ist ein Genuss am Abend in der Küche am Boden zu sitzen, der Köchin über die Schulter zu schauen, wie sie liebevoll unser Essen zubereitet, die Wärme des Ofens zu spühren und dabei mit anderen Reisenden festzustellen, wie glücklich einen die simpelsten Dinge machen können. Ich kann mich an keine Mahlzeit erinnern, die nicht hervorragend geschmeckt hätte. Alles wird frisch zubereitet, nichts ist fertig, man wartet und freut sich auf sein Essen. Die ganzen Sorgen des Alltags lässt man spätestens in Kathmandu im Hotel zurück. Es ist ähnlich wie auf einer Transalp. Man hat nur ein Ziel am Tag: Ankommen. Neben den normalen Herausforderungen des Bikens kommen hier in Nepal noch die teilweise Abgeschiedenheit und die Höhe hinzu. Man muss sich stets bewusst sein, dass eine Rettung nach einem schweren Sturz entweder unmöglich ist, oder Tage dauern kann. Man fährt anders, riskiert bewusster. Man sollte ständig einen Plan B haben, wissen, was zu tun ist, wenn man hier wegrutscht oder über den Lenker absteigt.

Das haben wir besonders intensiv gespürt als wir vom Tilicho Lake auf 5020m zurück nach Shre Karka gefahren sind. Der Trail ist mit das Schönste, das ich bisher erlebt habe. In dieser Höhe kann man mit dem Bike aber immer nur Kurzzeitgast sein. Die Kälte setzt einem zu, der Wind verschärft das Ganze. Uns hat ein Reifenwechsel dann ziemlich vor Augen geführt, dass der Pufferbereich merklich geringer ist, als z.B. in den Alpen. Es kostet Zeit, man steht 15 Minuten mit den Füßen auf dem Permafrostboden, muss die Handschuhe teilweise ausziehen. In dieser Situation hat unser Team einfach gepasst. Die Handgriffe bei Dom und mir haben gesessen. Man musste nichts sagen und wir haben trotzdem so super zusammengearbeitet, als ob wir das schon unzählige Male gemacht hätten. Das Gefühl einen Bikereifen zu wechseln, an einem Ort der höher liegt als alles in Zentraleuropa, umgeben von riesigen weißen Eiswänden, ist ziemlich einmalig und wird uns beiden wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Die weitere Abfahrt war, wie schon gesagt, perfekt. Der Trail bot alle Zutaten für höchstes Vergnügen: Speed, Spitzkehren, Sanddrifts, Sprünge, Schotterfelder … Und das in dieser Höhe, in dieser Landschaft, bei strahlend blauem Himmel … Wow. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, dann beeindruckt mich am meisten die Präzision und die Kontrolle mit der wir diese Abfahrt gemeistert haben. Wenn ich mir die Videos anschaue, dann erkennt man keine einzige Unsicherheit, wir zirkeln um die Felsbrocken, queren Schotterfelder oder lassen es laufen. Ich weiß, wir kommen wieder in die ekelhafte Selbstbeweihräucherungs-Rumschwärm-Ecke, aber es ist in diesem Moment einfach alles zusammengekommen, was für diese perfekte Abfahrt notwendig war und ich weiß nicht, ob und wann dies wieder mal so sein wird.

Einer der fahrbaren Abschnitte zum Tilicho Lake auf ca 4700m

Reifenwechsel auf 5000m

Tilicho Tal mit der wunderschönen weißen Wand

Etwas besonders angenehmes war auch die Interaktion mit den Wanderern. In den (Nord-)Alpen existiert ja eine jahrzehntelange intensiv gepflegte Feindschaft zwischen den Bikern und dem Fußvolk. In Nepal schlägt das ins komplette Gegenteil. Wieso wird man an der Kampenwand angeschnauzt und am Thorong La bejubelt? Was ist da bitte der Unterschied? Ich mache beides genau aus dem einen, selben Grund: Weil ich die Berge und das Biken liebe. Könnte man das nicht importieren? Es muss ja keine Jubelorgien auslösen, wenn ich irgedneinen Forstweg hochstrample, aber etwas gegenseitiger Respekt wär schon prima. Noch erfüllender ist allerdings die Neugierde und Begeisterung in den Kinderaugen, wenn einem eine ganze Schaar durch einen Ort nachläuft. Ich bilde mir einfach ein, dass es nicht nur mir, sondern auch den Kindern Spaß gemacht hat.

Mittagspause mit sehr neugierigem Publikum

Hätte man uns am Anfang der Reise gefragt, vor was wir am meisten Angst haben, dann wäre es die Höhe gewesen. Der Gedanke auf 5400m mit dem Bike unterwegs zu sein ist zumindest etwas fremd. Entsprechend haben wir versucht bei der Akklimatisierung möglichst alles richtig zu machen. Aus jetziger Sicht kann ich sagen, dass es sehr sinnvoll war pro Tag 5-6 Liter zu trinken und jeden Tag zumindest 200m höher zu steigen, als der abendliche Schlafplatz. Dom und ich können uns ziemlich glücklich schätzen, dass wir wirklich keinerlei Beschwerden in der Höhe hatten, noch nicht mal leichtes Kopfweh. Das soll aber nicht heißen, dass wir die Höhe nicht gemerkt hätten.

Akklimatisierung auf 4100m

Ich möchte Lago di Pian Palu zu ihm sagen

Ich würde sagen, ab ca 3000m spürt man, dass alles etwas langsamer geht. Das Ganze steigert sich dann immer mehr je weiter hinauf man kommt. Die fahrbaren Abschnitte hinauf zum Thorong La waren extrem anstrengend, weil man selbst im kleinsten Gang kaum mit dem atmen nachkommt. Die Lunge läuft auf Hochtouren, aber man hat den Eindruck nicht genug Sauerstoff ins Blut zu bekommen. Ich hab diese Grenzerfahrung sehr genossen. Auf die Zeit bezogen würde ich sagen, dass von der gesamten Runde 90-95% fahrbar sind, wenn man nicht unbedingt immer ausrechnet, ob es energetisch sinnvoll ist.

Der größte Feind des ambitionierten Bikers ist in der Höhe aber ist vermutlich nicht die Höhenkrankheit sondern das Lungenödem, weil es quasi ohne Vorzeichen kommt und das Risiko mit der Anstrengung steigt. Und auf wen man zählen kann, wenn man über 5000m neben dem Weg kauert und Hilfe braucht haben wir leider mit eigenen Augen bei einem Träger mit Lungenödem gesehen. Jeder ist auf seinem „fucking Annapruna Trek of his lifetime“ (Dr.Tom, HRA Klinik in Mangan, Vortrag unbedingt besuchen!) und hat keine Augen für die Anderen. Wieso sollte man das auch? Man ist ja in Nepal und deshalb per se schon mal die Menschlichkeit in Person und in höheren Sphären, da braucht man ja nicht mehr helfen … ein ziemlich krasser Widerspruch. Das war die negativste und eindringlichste Erfahrung der ganzen Reise, aber sie gehört genauso mit dazu.

Gänzlich andere Landschaft jenseits des Thorong La

Für jemanden, der seine Leidenschaft im Mountainbiken und den Bergen gefunden hat, ist diese Tour das Großartigste, was man machen kann. Man sollte eine vernünftige Kondition, solide Fahrtechnik und etwas Leidensfähigkeit mitbringen, dann wird man ganz viel Spaß haben. Nepal ist ein beeindruckendes Land, das einen persönlich weiter bringt, wenn man es zulässt und ich halte es für eine sensationelle Destination mit dem Bike. Es gäbe noch so viele Anekdoten zu erzählen, aber schaut es euch doch einfach selber an!

Gigantisches Panorama von Poon Hill

Der Weg zum Abendessen in Pokhara

Anmerkung zu unseren Abweichungen von der klassischen Route: Den Abstecher zum Tilicho Lake würde ich mit dem Bike nur Leuten empfehlen, die eine sehr gute Fahrtechnik und Bikebeherrschung haben. Gerade die Querung der Schotterfelder zum Tilicho Base Camp ist nicht ganz einfach und für so manchen Trekker schon eine kleine Herausforderung. Etwas alpine Erfahrung kann noch dazu auch nicht schaden, dann vermeidet man von den Steinbrocken getroffen zu werden, die gerade am Nachmittag die Schotterfelder runterdonnern. Noch mehr zu überlegen ist der „Abkürzer“ von Tatopani über Ghorepani (Poon Hill). Bergauf (2000hm) ist die Straße oft an der Grenze der Fahrbarkeit und Bergab braucht man schon ein gewisses Maß an Masochismus für all die Treppen – wer allerdings darauf steht wird seinen Spaß haben („This year? You are first“).

Downhill von Poon Hill, 2 Stunden höchste Konzentration

Und hier noch ein kurzer Abschnitt aus unserem Tourtagebuch:

Es ist ein skurriles, fremdes, aber furchtbar gemütliches Bild: Zwei moderne Mountainbikes stehen auf dem Kopf, auf der Dorfstraße vor der Lodge. Ein paar Nepali beobachten aus der bunt bemalten benachbarten Teestube das Geschehen. Es ist eng, staubig, uneben. Hin und wieder kommen Jeeps, Esel oder Schafe. Eine Frau murmelt Mantras und geht Weihrauch-schwingend durch die Straßen. An ihren Lieblingen schrauben zwei Europäer. Sie sind umringt von den Kindern des Dorfes, die sich auf haptischem Wege die Funktionen der fremdartigen Räder zu Eigen machen. Ramesh, bringt eine Tasse mit Kerosin, das er in beängstigender Geräuschlosigkeit hier oben organisiert hat. Er bändigt die neugierige Rasselbande. Die Handgriffe der zwei Schrauber wirken wie einstudiert, die Zusammenarbeit imitiert die besagte Geräuschlosigkeit. Es bedarf nicht vieler Worte und man hat in Teamarbeit die Kurbel ausgebaut – es gleicht einem alten Ehepaar, im besten Sinne. So kitschig es klingen mag, es trifft die Realität. Die fehlende Selbstverständlichkeit und die ständige Herausforderung alles am Laufen zu halten machen unglaublich Spaß. Man wird Eins mit seinem Bike, lernt die Stärken und Schwächen kennen und bildet eine Einheit. Mein Jekyll ist mir vertrauter denn je und es ist schon jetzt, am Anfang unserer Reise, faszinierend durch diese Landschaft zu strampeln, vertrauter als zu Fuß. Die Geborgenheit in diesem Land hat sich weiter gesteigert und ich könnte mir vorstellen noch ewig hier zu bleiben. Es ist derzeit ein herrlich einfaches Leben hier.

Allabendliche Bikepflege – diese Szene beschreibe ich in der Textstelle oben